Immer wieder hört man in den Medien den Ausdruck „Chancengleichheit“ in Bezug auf Bildung“. Doch haben wir alle die gleichen Startchancen oder hängt der spätere berufliche Erfolg von dem Bildungsgrad der Eltern ab?
Genau darüber habe ich mit der 24-jährigen Dilyina gesprochen. Ihr Vater kommt aus Deutschland, ihre Mutter aus der Türkei. Dilyinas Kindheit war geprägt von Schulden und Geldsorgen. Jetzt möchte von ihrem Weg zu ihrer Ausbildung erzählen.
Wie war deine Schullaufbahn? Hat die finanzielle Situation deiner Eltern eine Rolle gespielt?
„Im Gegensatz zu meinem Mitschüler:innen konnte mir meine Mutter nicht bei meinen Hausaufgaben oder beim Lernen helfen. Sie kannte das türkische Schulsystem, das Deutsche nicht. Aber auch als ich von der Schule nach Hause gekommen bin habe ich Unterschiede gemerkt. Während sich meine Freundinnen nach dem Mittagessen gestärkt an die Hausaufgaben setzen konnten, stand bei mir kein Essen auf dem Tisch, weil meine Mama Vollzeit berufstätig war. Das hat sich natürlich total auf meine Noten ausgewirkt.“
Fallen dir bestimmteSituationen ein, in denen du gemerkt hast, dass du weniger Geld zu Verfügung hast, als deine Freundinnen?
„Ich habe das Gefühl, wenn du mit weniger Geld aufwächst, bekommst du eine gewisse Existenzangst anerzogen. Das habe ich zum Beispiel daran gemerkt, dass mal wieder das Familienkonto im Minus war oder uns das warme Wasser abgedreht wurde.“
Wie sah deine Schullaufbahn aus?
„Nach der Realschule war mein Plan Fachabitur zu machen. Leider habe ich das nicht geschafft und die Schule lediglich mit einem Realschulabschluss verlassen. Daraufhin habe ich ohne Ausbildung eine Vollzeitstelle in einem Lager begonnen.
Ursprünglich hatte ich das Ziel, mein Fachabitur nachzuholen, da ich Zollbeamtin werden wollte. Jedoch hatte sich meine Mutter von meinem Vater geschieden. Das konfrontierte meine Mutter mit erheblicher finanzieller Belastung, mit welcher ich sie nicht alleine lassen konnte.“
Wie war das mental für dich?
„Für mich war das enorm stressig und frustrierend. Aber als ich jünger war, hatteich mich noch nicht so viel mit dem Thema soziale Ungerechtigkeit beschäftigt. Deshalb fühlt ich mich verantwortlich für meine Situation.“
Wie hat dein Hintergrund dein Denken zu unserer Generation und beispielsweise deren Arbeitsmoral beeinflusst?
„Einerseits finde ich es schade, wenn ich Menschen die von vielen Privilegien profitieren, dabei zuschauen muss, wie sie ihre Chancen einfach wegwerfen. Andererseits freut es mich wirklich zu sehen, dass vor allem Generation Zein Auge auf soziale Ungerechtigkeiten wirft. Mindestens genauso schlimm finde ich die Opfermentalität. Ich habe die letzten Jahre realisieren müssen, dass ich mich nicht darauf ausruhen darf, dass es für mich möglicherweise schwieriger ist als für die Leute in meinem Umfeld. Den so bleibt man in einem Kreislauf gefangen, Normalerweise halte ich nicht viel von diesem Zitat, aber im Endeffekt ist jeder selbst für seine Zukunft verantwortlich. Ich möchte nicht, dass meine Kinder später mit Existenzängsten leben müssen und wünsche ihnen die Möglichkeit, sich auf die Schule zu konzentrieren und ihren Beruf frei wählen zu dürfen. Und dann ist es zwecklos, sich in die Opferrolle zu stellen und zu behaupten, dass einem manche Möglichkeiten schlicht für immer verwehrt bleiben werden. Natürlich muss man Einschränkungen hinnehmen, die andere vielleicht nicht machen müssen und sich besonders für sein Glück anstrengen. Ich finde vor allem, dass wenn man weiß, wie es ist ärmer aufzuwachsen, man sein Bestes tun sollte, um seinen eigenen Kindern diese Erfahrung zu ersparen.“
Hast du schon Ansätze aus dem Kreislauf auszubrechen?
„Im September beginne ich eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Zwar mag das auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches sein, jedoch sind mein Bruder und ich die ersten in der engeren Familie, die eine Berufsausbildung beginnen. Das bedeutet, dass wir beide ein Azubigehalt bekommen. Ebenfalls habe ich versucht, finanzielle Hilfe vom Staat zu beantragen, da meine Mutter aber Vollzeit arbeitet und wir dementsprechend „genug“ Geld haben, wurde das leider nicht in Betracht gezogen.“
Glaubst du, dass du Fähigkeiten in die Ausbildung mitbringst, die andere vielleicht nicht im gleichen Maß vorweisen können?
„Ich konnte bereits sehr viel Arbeitserfahrung sammeln, die andere, wenn sie eine Ausbildung anfangen so noch nicht haben. Ich sehe das Glas gerne halb voll und deswegen glaube ich auch, dass ich umso mehr Motivation habe, die Ausbildung ernsthaft anzugehen und durchzuziehen. In meinem Umfeld ist es zum Beispiel auch so, dass manmit einem mittelmäßigen Realschulabschluss oft Schwierigkeiten hat, einen Platz für eine kaufmännische Ausbildung zu finden. Ich hatte durch die Arbeitserfahrung, die bereits in meinem Lebenslauf aufgeführt war, keine allzu großen Probleme, eine Stelle zubekommen. Genauso habe ich das starke Ziel vor Augen, es eines Tages besser zu haben. Ich denke, mit dieser Herangehensweise geht man das Thema Berufsausbildung schon im Vorfeld ganz anders an, als wenn man es nur macht, weil es zum Beispiel von den Eltern erwartet wird.“
Gibt es irgendwelche staatlichen oder schulischen Hilfen, die du dir bei deinem Weg gewünscht hättest?
„Ich wünschte, die Schule würde den Eltern von Anfang an verdeutlichen, wie wichtig gute Noten oder Abitur sind und dass Kinder eine gewisse Freiheit brauchen, um sich angemessen auf die Schule konzentrieren zu können. Ebenso wie maßgeblich heutzutage eine gute Ausbildung ist. Was mir geholfen hätte, wäre eine Art Berufsberatung, die nicht nur auf den passenden Beruf abzielt, sondern gezielt auf die individuelle Lage eingeht und einem die Möglichkeiten aufgezeigt, die man hat. Also mehr Aufklärung über das Thema Ausbildungen bezogen auf die Ausgangssituation. Ich bin mir der finanziellen Stützen vom Staat bewusst, habe aber das Gefühl, dass sämtliche Anträge automatisch abgelehnt werden, sobald eine Person in der Familie Vollzeit arbeitet, auch wenn es nur eine Mindestlohnstelle ist.“
Hast du rückblickend noch einen Tipp für die Leute, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
„Es existiert kein perfekter Kniff, um aus schwierigen Situationen auszubrechen. Dennoch möchte ich jedem raten, die Chancen zu nutzen die sich bieten. Ich will keineswegs behaupten, dass Menschen, die es nicht schaffen, etwas aus sich zu machen einfach nur zu faul oder ähnliches wären. Nichtsdestotrotz würde jedem, der die Möglichkeit hat, ans Herz legen eine Ausbildung oder ähnliches zu versuchen. Sobald man bereits Vollzeit gearbeitet hat, und dementsprechend die finanzielle Verantwortung auf das entsprechende Einkommen eingestellt hat, wird es natürlich wesentlich schwieriger, seine Ausgaben erneut herunterzufahren und mit einem Ausbildungsgehalt über die Runden zu kommen. Dennoch, sobald es irgendeine Möglichkeit gibt, eine Ausbildung anzufangen, würde ich sofort und immer dazu ermutigen, es zu tun. Es ist auch eindrücklich zu empfehlen, gründlich zu recherchieren, ob es irgendeine Form von finanzieller Unterstützung gibt, die man noch beantragen kann.“
von Sophia Miltenberger